D I E  K R O N E  D E S  R E I C H E S

 

 

 

D E R  G L A N Z

 

Die Reichskrone hat eine  von allen anderen Kronen der Welt verschiedene Gestalt.

Zunächst: Die Krone  ist nicht rund, sondern sie ist achteckig. Statt eines Reifes sind acht oben abgerundete Platten durch Scharniere miteinander verbunden. Warum? Es gibt kaum erläuternde Quellen. Notgedrungen sind die Nachfahren  auf eigenes Nachdenken angewiesen.

 

Das Leben in früheren Zeiten, auch das Leben im Mittelalter, war ein nie endender Kampf gegen Gefahr und Not. Die Menschen suchten daher im Unveränderlichen, im Unzerstörbaren  Sicherheit, z. B. in der Zahl.

In der Vier und in ihrer Zweiheit, der Acht, spürten sie Schutz: Man fühlte sich geborgen in den vier Himmelsrichtungen, in der Wiederkehr der vier Jahreszeiten,  im Zusammenspiel  der vier Elemente. 

Da der Herrscher als der Garant irdischer Sicherheit angesehen wurde, erscheint in der  Umgebung der mittelalterlichen Könige und Kaiser immer wieder die  Acht: Die Aachener Pfalzkapelle Karls des Großen  z. B. bildet ein Achteck, ebenso deren schmiedeeiserne  Leuchterkrone.  Achteckig ist der Grundriß der Stauferburg Castel del Monte in Unteritalien, welche der letzte Staufer Friedrich II. dort errichten ließ.

 

Die einzelnen Platten der Krone sind, wie man einst so klangvoll sagte, aus gediegenem Golde, von Perlen und Edelsteinen durchsetzt. Durchsetzt ist wörtlich zu nehmen: Die Perlen und die Steine sind in ausgesägte Öffnungen eingeschoben und mit Filigran befestigt,  so daß sie im durchscheinenden Lichte wie von innen leuchten.

 

 

Reichskrone, die Stirnplatte

 

Auf vier der acht Platten  sind zusätzlich Emailbilder angebracht.  Zwei der Bilder zeigen alttestamentliche Könige mit lateinischen Spruchbändern   in ihren Händen. Bei König David heißt es: "Der ehrenhafte König liebt den Rechtsspruch",

 

 

 

Reichskrone, David-Platte

 

bei Salomon: "Fürchte Gott und meide Unrecht."

 

 

 

Reichskrone, Salomon-Platte

 

Auf dem dritten Bild wird König Hiskia das vom Propheten Jesaja übermittelte Versprechen des Höchsten zuteil: "Wohlan, ich will deinen Lebensjahren noch 15  hinzufügen."

 

 

 

Reichskrone, Hiskia-Platte

 

Auf dem vierten Bilde ist der auferstandene und über dem Weltkreis thronende Christus   von zwei Erzengeln gerahmt. Dazu heißt es in roten Buchstaben auf goldenem Grund:  "Per me reges regnant", ‚Durch mich regieren die Könige.’

 

 

 

Reichskrone,  Christus-Platte

 

 

Letzte Sicherheit nämlich erwarteten die Menschen einstiger Epochen  aus dem Bereich des Unsichtbaren, von ihren Göttern, von ihrem Gott.  Nur derjenige konnte wirklich Herrscher  sein, der von einem Gott dazu ermächtigt war. Im mittelalterlichen Abendland war es der menschgewordene Gott Jesus Christus.

 

Verschiedene Forscher sehen im Perlen - und Edelsteinschmuck der Krone noch weitere Hinweise auf das Unsichtbare und auf die ordnende Zahl: In der Stirn - und Nackenplatte der Krone stehen jeweils zwölf Steine. Quer durch die Kulturen der Menschheit steht auch die Zwölf für Vollkommenheit in dieser und in jener Welt. Die  zweimal zwölf Steine  könnten beispielsweise für die zwölf Stämme des alten Israel stehen, welches durch das von den zwölf Aposteln gegründete neue Israel abgelöst wurde.  Die Zahl aller Perlen zusammengenommen beträgt 144. 144, 12 mal die 12, ist die Zahl der Auserwählten im himmlischen Jerusalem, dem Vorbild und  Endziel aller Christenheit auf Erden.(1)

 

In den wenigen Quellen über die Reichskrone wird  von einem verloren gegangenen, weiß - rötlichen Stein berichtet, welcher alle anderen Steine an Glanz übertroffen habe. Man nannte den Stein "orphanus", den Waisen. (2)  "Waise" wurde hier nicht im Sinne von "verlassen" gebraucht, sondern in der Bedeutung  von "alleinstehend", d.h.,  "einzigartig in der Welt". In  dem Waisen, so meinte man, sei des Reiches Einmaligkeit und Kraft verborgen.

 

Über die Herkunft des Waisen berichtet die Legende Folgendes:

Der Stiefsohn Kaiser Ottos des Großen, Herzog Ernst, hatte sich durch Aufruhr den Zorn seines Stiefvaters zugezogen. Der Aufrührer flüchtete in den Orient, wo er im Dunkel einer abgründigen Höhle einen leuchtenden Edelstein brach. Er kehrte zurück, um den Kaiser mit dem Geschenk dieses Steines zu versöhnen. Otto verzieh dem Rebellen und setzte den Stein in seine Krone.

In einer der Quellen heißt es:

 

"Ernst der edele wigant

einen stein dar under sach,

den er uz dem felse brach.

der stein gap vil liehten glast." (3)

 

"Ernst dem riche gab den stein,

Der da lichter farbe schein,

Und in des riches crone

Noch hute erluchtet schone." (4)

 

Warum die Legende vom Waisen? Wieder sind wir  auf Vermutungen angewiesen,  etwa auf diese:

Für Menschen des Mittelalters sollte der Herrscher nicht nur mit den Sehnsuchtsbildern des Himmels, sondern auch mit den gefürchteten Tiefen der Erde eine Verbindung haben, um deren bedrohliche Mächte in ihre Schranken zu weisen. Der Stein,   "aller fürsten leitesterne" (5), wie  ihn Walther von der Vogelweide auch nennt, stammt aus den Abgründen der Erde. Wer ihn in seiner Krone trägt, ist dieser Abgründe Herr,  und er weiß somit auch die Abgründe der menschlichen Seele, Hader, Rachsucht und Angst, zu bezähmen.

 

Von christlich ausgerichteten Forschern wird der Waise  auch  mit Christus als dem biblischen "Eckstein"  in Beziehung gebracht oder mit dem edelsteinklaren Leuchten des himmlischen Jerusalem.

 

Seit Ende des Mittelalters wird von dem Waisen nicht mehr gesprochen. Wurde er aus der Krone entfernt? Für den obersten Stein der Stirnplatte ist die Fassung zu groß. Hier könnte der Waise gestanden haben.

 

 

 

Der mittlere Stein paßt nicht in die Fassung und wurde nachträglich mit Draht befestigt. Hier könnte der 'Waise' gestanden haben.

 

 

Über der Stirnplatte steht ein goldenes, mit Perlen und Edelsteinen durchsetztes Kreuz, auf dessen Rückseite  der Gekreuzigte abgebildet ist.

Von der Stirnplatte zieht sich zur Nackenplatte  ein goldener Bügel, welcher acht oben gerundete Platten trägt. Diese Platten sind beidseitig mit Perlen eingefaßt und ebenso mit Perlen beschrieben:

CHVONRADVS DEI GRATIA heißt es auf der linken, ROMANORU IMPERATOR AUG auf der rechten Seite. Zu deutsch: Konrad von Gottes Gnaden Kaiser der Römer (und) Augustus.

 

 

Der Bügel der Reichskrone

 

 

zurück zu Inhalt

 

weiter