D I E  K R O N E  D E S  R E I C H E S

 

 

W i e n :

 

 " Hochsommer 1796. Die Tage sind drückend schwül und voller Unruhe und die Nächte voller Gefahren. Die Kriegsfurie rast über das Land. Zügellose Horden der französischen Revolution ziehen sengend und plündernd durch Franken. Nürnbergs Rat und Bürgerschaft erwartet stündlich den Einzug der Soldateska in die Stadt. Die wilden Gesellen kommen schneller als erwartet...

 

In der Nacht zum 9. August geschieht in Nürnberg etwas Merkwürdiges: In der Nähe der Heiliggeistkirche hält ein mit Mist beladener Bretterwagen. Bevor noch der Fuhrmann sich anschickt, sein Gefährt zu entladen, treten aus der Kirchenpforte Männer, die sorglich umhüllte Kisten und Kasten tragen. Der Fuhrmann nimmt eine Truhe nach der anderen schweigend in Empfang und vergräbt sie in seiner Ladung. Niemand in der Nachbarschaft hat von diesem seltsamen Treiben etwas bemerkt. Beim Morgengrauen fährt der Wagen dann polternd zum Hallertor hinaus. Die Torwächter lassen Fuhrmann und Fuhre unbeanstandet passieren. Wer wird sich auch bei einer Ladung Mist aufhalten.

 

Für die Eingeweihten aber - es war nur ein kleiner Kreis von mutigen und deutsch gesinnten Männern - treten damit die Reichskleinodien, die in Nürnberg vier Jahrhunderte lang eine Heimstatt hatten, ihre Reise ins Ungewisse an.

Noch am Mittag des gleichen Tages, am 9. August, reitet der Franzosen General

J o u r d a n  mit seinem Gefolge in die alte Reichsstadt ein. Er begibt sich, kaum angekommen, sofort zur Heiliggeistkirche, denn hier werden, so weiß er, die "K l e i n o d i e n  d e s  H e i l i g e n   R ö m i s c h e n        R e i c h e s      d e u t s c h e r 

N a t i o n" aufbewahrt sein. Alles Dinge von unschätzbarem materiellen und seelischen Wert; seltene Reliquien, die aus der Zeit der Anfänge des Christentums in Deutschland stammen sollen, uralte Waffen und Schmuckgeräte aus Silber und Gold und mit kostbaren Edelsteinen besetzt. Wirklich, da hängt auch der Heiltumsschrein an einer Kette vom Chorgewölbe herab und schwebt über dem Hochaltar. Aber die Truhe ist leer, alle Kostbarkeiten sind verschwunden.

 

Und kein Fluchen und kein Drohen können sie wieder herbeischaffen. Die Fuhre aber rollt inzwischen auf sicheren Pfaden ein gutes Stück gegen Böhmen zu nach Prag." Von Prag führte "Ein Abgesandter vom Regensburger Reichstag....den Schatz dann nach Regensburg." (14)

 

So wird nach fast anderthalb Jahrhunderten, am Tage, da die Reichskleinodien wieder nach Nürnberg heimkehrten, in der "Nürnberger Zeitung" berichtet. War es so? Oder handelt es sich um eine der vielen, den Weg der Reichskleinodien begleitenden  Legenden? Ist es vielleicht eine Erzählung, die dem Fischtransport von 1424 nachgestaltet wurde? Das ist wieder eines der nicht lösbaren Rätsel um die Reichskleinodien. Tatsache jedenfalls ist, daß die Nürnberger Stadtväter beim Herannahen der französischen Revolutionstruppen ihrem Verwahrungsauftrag gemäß verfuhren: Der Nürnberger Oberst Johann Georg Haller wurde mit der Flüchtung der Reichskleinodien betraut, welche schließlich dem kaiserlichen Kommissarius am immerwährenden Reichstag in Regensburg, dem Freiherr Johann Aloys Josef von Hügel, übergeben wurden. Der Aufenthalt der Reichskleinodien außerhalb der Mauern Nürnbergs sollte jedoch nur vorübergehend sein.  Sowohl Hügel als auch der derzeitige Kaiser Franz II.  garantierten den Nürnbergern die sofortige Rückaushändigung der Reichskleinodien nach Beendigung der Gefahr.

 

Wenig später war der Reichsschatz auch in Regensburg nicht mehr vor Napoleons Truppen sicher. Ohne Wissen und Zustimmung der Nürnberger transportierte der kaiserliche Konkommissarius die Schätze über Passau nach Wien, wo sie am 9. Oktober 1800 der kaiserlichen Schatzkammer übergeben wurden.

 

Damit war die Krone nun wieder wie einst im Mittelalter in den Händen des Kaisers.

Der Druck des Feindes auf das Reich aber wuchs, der Druck auf den Kaiser und auf diejenigen, welche Kaiser und Reich noch immer die Treue hielten.

 

Im Jahre 1803 wurden auf Betreiben Napoleons und im Widerspruch zur Reichsverfassung (15)  die meisten der reichstreuen Territorien wie Bistümer und Reichsstädte den Landesfürsten zugeschlagen,  denjenigen, denen die eigene Machtentfaltung schon immer mehr als die Einheit des Reiches bedeutet hatte.  An Nürnberg war der Kelch der Reichsmittelbarkeit noch einmal vorübergegangen. Noch.

 

Im Mai des folgenden Jahres teilte der kaiserliche Konkommissarius Hügel den Nürnbergern  den derzeitigen Aufenthalt des Reichshortes mit, unter nochmaliger Zusicherung der baldmöglichsten Rückführung.

 

War das ernst gemeint? Unter dem Druck der Verhältnisse hatte man in Wien das Reich schon lange aufgegeben und trachtete nur noch danach, wenigstens die eigene Hausmacht zu retten. Franz II., welcher schon vor acht Jahren versichert hatte, er werde, falls es ihm Vorteile bringe, auf die Reichskrone verzichten (16), setzte sich am 11. August des Jahres vorsorglich die Krone eines erblichen österreichischen Kaisers  aufs Haupt. Es war diejenige Krone, welche sich derzeit in der Wiener Schatzkammer all der beschriebenen Huldigungen erfreut. Die Reichsverfassung war damit nun endgültig und für alle Welt sichtbar außer Kraft gesetzt, denn in  e i n e m  Reich kann es nur e i n e n  Kaiser geben und nicht zwei, auch nicht, wenn beide Kaisertitel auf einer Person vereinigt sind.

 

Wenige Monate später hatte sich  die Zahl der abendländischen Kaiser   noch um einen weiteren erhöht: Am 2. Dezember versah sich auch Napoleon mit kaiserlicher Würde. Da er  wegen der Umsicht der Nürnberger nicht in den Besitz der Reichskrone gekommen war und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ja der Form nach noch bestand, blieb dessen weiteres Schicksal zunächst noch offen. Der Sieg über Österreich vom 2. Dezember 1805 brachte dann Klarheit: Im darauf folgenden Frieden  zu Preßburg sprach Napoleon nicht mehr vom Deutschen Reich, sondern  vom "Deutschen Bund". Im Juli des kommenden Jahres wurden 16 deutsche Staaten per Ultimatum gezwungen, aus dem Reich auszutreten und sich dem französischen Kaiser zu unterstellen. Einigen dieser sogenannten Rheinbundstaaten wurden zur Besänftigung des Gewissens noch kleine Aufmerksamkeiten zuteil. Im Artikel 17 der Rheinbundakte bekam eine in Preßburg frisch erschaffene Majestät, der König von Bayern,  die Stadt Nürnberg und deren Gebiete mit allen Eigentums- und Souveränitätsrechten zugesprochen.  Das war das Ende der viele hundert Jahre währenden Nürnberger Reichsfreiheit. Noch bevor die Rheinbundakte vom Restreichstag in Regensburg sanktioniert worden war, stellte Napoleon  Franz II. unter Androhung der Wiederaufnahme militärischer Handlungen das Ultimatum, bis spätestens zum 10. August des Jahres die Reichskrone niederzulegen.

 

Selbst, wenn Franz II. es gewollt hätte, es wäre ihm nicht möglich gewesen, gegen Napoleons Willen auf der Krone des sich bereits in Auflösung befindenden Reiches zu bestehen. Die bloße Niederlegung der wieder einmal nach Ungarn ausgelagerten Reichskrone aber  hätte Napoleon die Möglichkeit gelassen, Wege zu ihr zu finden, um damit seinem selbsterschaffenen Kaisertum ein Fundament zu verleihen, um sie sich als eine West- und Ostfranken vereinende Karlskrone schließlich doch noch selbst auf sein schon vorgekröntes Haupt zu setzen. Das wenigstens sollte verhindert werden. So legte Franz II. am 6. August 1806  nicht nur für seine Person die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nieder. Auf den Rat seines Außenministers Graf von Stadion erklärte er, ohne jedoch durch die verbliebenen Reichsgremien dazu befugt zu sein, gleichzeitig dieses Reich für aufgelöst:

 

"Wir entbinden zugleich Churfürsten, Fürsten und Stände und alle Reichangehörigen, insonderheit auch die Mitglieder der höchsten Reichsgerichte und die übrige Reichsdienerschaft, von ihren Pflichten, womit sie an uns als das gesetzliche Oberhaupt des Reiches, durch die Constitution gebunden waren. Unsere sämtlichen deutschen Provinzen und Reichsländer zählen wir dagegen wechselseitig von allen Verpflichtungen, die sie bis jetzt, unter was immer für einem Titel, gegen das deutsche Reich getragen haben, los..." (17)

 

Die  herrenlos gewordene Reichskrone mit den erledigten Reichskleinodien sollte nach Meinung Stadions  "als Antiquitäten" in Wien (18) verbleiben, und der nunmehr seines Amtes entkleidete kaiserliche Konkommissarius Hügel wendete es im Gegensatz zu seinen früheren Versprechungen  so:

 

"Von der Kayser Krone und den Reichs Insignien ... wird entgegen gehend nicht zu erwehnen, sondern auf Beybehaltung dieser wichtigen und kostbaren Althertümer zum ewigen Andenken die Absicht zu richten, und abzuwarten seyn, ob eine Anforderung von irgendeiner Seite eintreffen werde". (19) Abwarten also und schweigen.

 

1814 war die Gefahr gebannt, der Druck, unter dem  die Reichsverfassung  untergraben, das Reich  schließlich vom Kaiser als aufgelöst erklärt worden war, dieser Druck einer feindlichen Übermacht war beseitigt. Die Reichsvertreter, welche in Wien zusammengekommen waren, hätten das suspendierte aber nicht wirklich aufgelöste Reich in seiner alten Form wieder aufrichten können. Obwohl Pläne in diesem Sinne vorgelegt wurden, haben die Reichsvertreter das Reich  nicht wieder hergestellt. Sie haben damit das von Napoleon erzwungene Unrecht zu Recht erklärt und so die eigentliche und endgültige Auflösung des ersten Deutschen Reiches vollzogen. Das Kaiserreich Österreich, das Königreich Bayern zusammen mit all den  durch Napoleon gestärkten Territorien waren an einer erneuerten Unterordnung unter die Reichskrone nicht mehr interessiert. Das Gift, welches der Feind ausgestreut hatte, das Reich auseinander zu treiben, war   zu süß, als daß man seiner ohne Not wieder hätte entbehren wollen. Es blieb dabei, was Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Erfolge schon festgelegt hatte: Das Deutsche Reich war zum Deutschen Bund herabgekommen.

 

Was sollte nun mit den in Wien bis auf Weiteres als Altertümer einbehaltenen Reichskleinodien geschehen? Darüber war während des Wiener Kongresses nichts gesagt worden. So bestand das Recht Nürnbergs auf die Verwahrung des Reichshortes  fort und konnte seither auch nie juristisch fundiert bestritten werden.  Mit Auflösung des Reiches  nämlich erhielt die Urkunde Kaiser Sigismunds, "welche von der Verwahrung der Reichsinsignien 'auf ewige Zeiten' (in Nürnberg) spricht, einen realen Aussagewert: wenn auch das Reich untergeht, so soll doch die Aufbewahrung des Reichshortes in Nürnberg Bestand haben. Allein damit konnte einer Auflösung bzw. Verschleuderung des Kronschatzes vorgebeugt werden." (20)

 

  

 

Daran konnte auch die Mediatisierung Nürnbergs, die Einbeziehung in das bayerische Königreich, nichts ändern:

 

"Die tradierten Privilegien und Gerechtsamen der ehemaligen Reichsstädte konnten .... (auch nach der Mediatisierung) insoweit Bestand haben, als sie der Souveränität des Staates, auf den sie übergegangen waren, nicht widersprachen." So überlebten  "jene Gerechtsame, welche dem landesherrlichen Souveränitätsanspruch nicht entgegenstanden, ... das Ende der auf den reichsunmittelbaren Status gegründeten städtischen Eigenstaatlichkeit. Zu diesem 'dauerhaften' Privilegienstand zählte aber auch das Verwahrungsrecht der Stadt Nürnberg hinsichtlich der Reichsinsignien,.." (21)

 

So dauerte es nicht lange, bis sich Nürnberg seiner Rechte und Pflichten bezüglich der Reichkrone und der Reichskleinodien wieder entsann. In  regelmäßigen Abständen sprachen nun die Nürnberger Stadtväter in Wien vor, um ihre Ansprüche anzumelden. Es sprengte den Rahmen dieser Darstellung, all die Ausreden und Absagen aufzuzählen, mit denen die Nürnberger belehrt wurden, daß mit einem Recht ohne Macht, es durchzusetzen, nicht viel anzufangen ist in dieser Welt. Weder der Kaiser von Österreich noch der König in Bayern hatten ein Interesse daran, sich der Reichskrone zu erinnern und die Kleinodien des alten Reiches wieder in des "Reiches Mitte" zu wissen.

 

 

Die Reichskrone über dem österreichischen Wappen an der Wiener Hofburg. 

 

 

Der Kaiser von Österreich und der König in Bayern wurden hingegen nach einer Zeit ebenfalls  belehrt, nämlich, daß  Macht ohne Recht kein dauerhaftes Ding ist auf Erden. Im Revolutionsjahre 1848 verlangte die Wiener Delegation für das Frankfurter Vorparlament, die Reichsinsignien mitzunehmen, um einen neuen deutschen Kaiser damit zu krönen. Da bedurfte es in der Hofburg schon sehr schwieriger Winkelzüge, um den Revolutionären eine Absage zu verdeutlichen.

 

Ab 1866 war das Kaiserreich Österreich dann allein.

 

Wenige Jahre später gab es auf deutschem Reichsboden  einen zweiten Kaiser, mit dem sich sowohl die Österreicher als auch  die Bayern arrangieren mußten.

Das preußische Kaiserreich  verstand sich jedoch nicht als Fortsetzung des alten, übernational bestimmten Reiches.

In einem 1872 erschienenen Büchlein, "Die Atribute des neuen dt. Reiches" heißt es:

 

"Im staatsrechtlichen Sinne ist das Reich, die Kaiserwürde von 1871, eine völlige Neuschöpfung. Es wäre eine bedenkliche Verirrung, wenn man unser nationales Kaiserthum vom 18. Januar 1871 als eine staatsrechtliche Fortsetzung des am 6. August 1806 zu Grabe getragenen Römischen Kaiserthums ansehen wollte." (22)

 

So trug  Kaiser Wilhelm I.  seine eigene Krone. Die Preußen sahen keinen Anlaß, die Nürnberger Forderungen nach Rückkehr der Reichskleinodien zu unterstützen. Zur Erleichterung der  abgedrängten Österreicher blieb die Reichskrone samt Schatz weiterhin in Wien, wo man sich nun der Vorstellung hingeben konnte, im Grunde doch der wahre Erbe des alten, zu Grabe getragenen Reiches zu sein. 

 

Im preußischen Kaiserreich erinnerte man sich nur ganz nebenbei daran, daß es schon einmal ein Reich mit einer fast 1000-jährigen Krone gegeben habe. Dazu drei Beispiele: Der steinerne, berittene Kaiser zu Koblenz wird von einem kleinen Genius begleitet, welcher die Reichskrone mit sich trägt. Im Gitter einer Berliner Brücke wird man von  der schmiedeeisernen Form der Reichskrone überrascht. Im Niederwald bei Bingen hält die  Germania die Reichskrone in der erhobenen Hand.

 

Auch  das preußisch - österreichische Doppelreich fiel seinen Feinden zum Opfer. Am Ende des I. Weltkrieges wurden beide Kaiser von den Siegern zur Abdankung gezwungen. Die verbliebenen Reichsteile Deutschland und Deutsch - Österreich wurden gewaltsam voneinander getrennt und zur Gründung von zwei verschiedenen Republiken veranlaßt. Das alte Reich, die Reichskrone, das Recht der Nürnberger, alles schien so gut wie vergessen.

 

Das Reich aber ist mehr als seine jeweilige Form. Es hat eine Komponente, die durch Feindesgewalt nicht zerstört werden kann.

 

Im Jahre 1930 sagte der Hüter des Reichsschatzes in Wien, der Schatzmeister der Wiener Hofburg, Dr. Arpad Weixlgärtner:

 

"Wir 'Kronenwächer', die wir die deutschen Reichskleinodien bewachen und dies weder für einen Habsburger noch für einen Hohenzollern, sondern für das gesamte deutsche Volk tun, würden sie mit Jubel ans Deutsche Reich zurückstellen - aber nur zusammen mit unserer alten deutschen Kaiserstadt Wien und unserer noch älteren deutschen Ostmark". (23)

 

Im Jahre 1933 erhielt das Reich wieder eine neue Gestalt. Am 13. März 1938 wurde Deutsch-Österreich   unter dem Jubel der Österreicher mit dieser neuen Form des Reiches vereint.

 

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