D i e  K r o n e  d e s  R e i c h e s

 

 

N ü r n b e r g :

 

Stützen des Reiches waren im Spätmittelalter die zu Wohlstand gekommenen Reichsstädte.  Die größte und mächtigste dieser Städte mit den "des Reichsoberhauptes getreuesten Bürgern" war Nürnberg, "des Reiches Mitte", des Reiches Schatzkästlein. (8)

Am 29. September 1423 wurde zwischen Sigismund und den Nürnberger Stadtvätern beschlossen, "unser und des heiligen reichs heiligtum" auf ewige Zeiten, unwiderruflich und unanfechtbar der Stadt Nürnberg anzuvertrauen. (9)

 

So hatte das wandernde Reich in des Reiches Mitte für ewiglich einen Ort gefunden.

Von zwei Nürnberger Abgesandten begleitet, zum Schluß als ein Fischtransport getarnt, trafen am 22. März 1424 die Reichskleinodien mit der Reichskrone in  Nürnberg ein. Über dieses Ereignis schreibt Wilhelm Raabe in seiner Novelle "Des Reiches Krone":

 

"Erst eine Meile vor Nürnberg haben diese Fuhrleute erfahren, welche Ehr und Herrlichkeit sie gewürdigt gewesen seien, und haben sich in freudigem Schrecken von den Rossen in den Staub des Weges niedergestürzt und haben auf den Knien das Heiligtum verehrt. Glocken und Gesang des Volkes! Zinken und Trompeten! Wir sind alle hinausgezogen auf das Gerücht von dem Nahen der Abgesandten und des Schatzes, den sie mit sich brachten. Zu Tausenden und Zehntausenden - Männer und Frauen, Greise und Kinder, sind wir der Krone entgegengegangen: ein größerer Tag ist seit Menschengedenken nicht in  den Chroniken der Stadt verzeichnet worden." (10)

 

In einer zeitgenössischen Darstellung heißt es:

"In einem glänzenden Zug werden die Reichskleinodien nach Nürnberg eingebracht. Die Stadt feiert den ganzen Tag. Die Bürger haben sich festlich gekleidet, die Gefangenen, selbst schwere Verbrecher, entläßt man aus dem Gefängnis, und die Leichname der Gehenkten, die sonst lange am Galgen hängen müssen, werden abgenommen, denn die heiligen Reliquien kommen nahe am Hochgericht vorüber, und alle - auch die Hingerichteten - sollen ihrer Gnade teilhaftig werden. Die gesamte Geistlichkeit, der Nürnberger Rat, die ganze Bürgerschaft ziehen in feierlicher Prozession dem Kronschatz durch das Frauentor weit vor die Stadt hinaus entgegen." (11)

 

Noch im gleichen Jahre wurde das Verwahrungsprivileg Nürnbergs durch den Papst bestätigt, welcher sein Mitspracherecht in allen Reichsangelegenheiten hierdurch folgende Einschränkungen zur Kenntnis brachte: Die Kleinodien sollten  in der Kirche des Heilig Geist Spitals verwahrt werden. Die "ewige Zeit" der Verwahrung  solle  enden, wenn die Stadt  vom rechten Glauben abfalle.

 

 

 

Das Heilig Geist Spital in Nürnberg

 

 

 

Die Heiltümer, wie die Reichskleinodien auch in Nürnberg genannt wurden, verwahrte man in einem "Versperr" über der Sakristei der Heilig Geist Kirche, die Krone gesondert in einer schwarzen Truhe. Die Schlüssel zum Versperr hüteten die drei Losunger. Das waren die höchsten Beamten der Stadt. Um eventuellen Gästen die Heiltümer in einem würdigen Rahmen weisen zu können, wurde der Innenraum der Kirche neu ausgemalt. Für zwei der Reichsreliquien, für die heilige Lanze und das Reichskreuz, wurde ein gold - silberner, mit Nürnberger Wappen geschmückter Behälter angefertigt, der sogenannte "Heiltumsschrein". Dieser hing vor dem Altar der Kirche an Ketten, damit man die auf seinem Boden abgebildeten, von zwei Engeln gehaltenen Heiltümer betrachten konnte.

 

Als Höhepunkt im Nürnberer Jahresablauf wurden die öffentlichen "Weisungen" der Reichsheiltümer fortgesetzt, gefolgt von einer 14tägigen für das Wohl der Nürnberger Kaufherren  veranstalteten  Handelsmesse.

 

Die Weisungen verliefen so:

"Absperrungen verhinderten ein wahlloses Ausschwärmen der Menschenmenge über den Platz, regelten den Ablauf. Alle Türme waren besetzt, um Unruhen innerhalb der Stadt und Gefahren von außen beobachten und unter Kontrolle bringen zu können. Vor dem Schopperschen Haus, in das am Tage zuvor die Reichskleinodien gebracht worden waren, stand ein prachtvoll verkleidetes hölzernes Gerüst, das zu diesem Zweck errichtete tabernaculum oder der Heiltumsstuhl. Auf der Empore, die mit einem Fenster des Schopperschen Hauses, das als Durchreiche benutzt wurde, in Verbindung stand, versammelte sich eine Reihe ausgewählter Personen, darunter die Herren Älteren des Rates, die Pfarrer der Nürnberger Hauptkirchen St. Sebald und St. Lorenz und selbstverständlich, wenn er der Weisung beiwohnte, der Kaiser. Gewöhnlich zelebrierte der Abt von St. Ägidien die Messe. Dann erfolgte die Weisung in drei Umgängen. Zunächst wurden in einer bestimmten Reihenfolge die Reliquien vorgeführt, die an die Kindheit des Herren erinnerten, darunter der Span der Krippe, das Armbein der hl. Anna und der Zahn Johannes' des Täufers, dann die Reliquien Karls des Großen, zuletzt die Reliquien, die vom Leiden Christi zeugten, darunter die Heilige Lanze und das Reichskreuz, dazu die päpstlichen Ablaßbriefe. Der Heiltumsschreier, ein durch Kraft und Schönheit der Stimme ausgezeichneter Geistlicher, begleitete die Weisungen mit Erklärungen, die er von dem sogenannten Schreizettel ablas.....Den Abschluß der Weisung bildeten jeweils die Fürbitten für die ganze Christenheit, für die  Einheit der Kirche und des Reiches, für den verstorbenen Kaiser Sigismund und schließlich für alle Fürsten, Herren, Städte, für das ganze Volk und für den Rat der Stadt Nürnberg. Nun empfingen alle Gläubigen mit dem Heiligen Kreuz den Segen." (12)

 

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gaben die Nürnberger Stadtväter für den Raum im Schopperschen Hause, in welchem die Heiltümer zur Zeit der Weisungen aufbewahrt wurden, für die  sogenannte "Heiltumskammer", zwei Bilder in Auftrag. Die Darstellungen Kaiser Sigismunds und Karls des Großen sollten den  Rang der Reichsstadt Nürnberg für jedermann anschaubar machen.

 

Der beauftragte Maler Albrecht Dürer versah den damals als Reichsgründer verehrten Kaiser Karl mit Reichsapfel, Reichsschwert und mit der achtplattigen perlen-, bild- und edelsteingeschmückten Krone.

 

 

 

Albrecht Dürer, Karl der Große

 

 

 

Auf dem Rahmen des Bildes steht geschrieben:

 

"Dis ist der gestalt und biltnus gleich

Kaiser Karlus, der das Remisch reich

Den Teitschen under tenig macht

Sein kron und klaidung hoch geacht

Zaigt man zu Nurenberg alle jar

Mit andern haltum offenbar." (13)

 

Versuche, den Nürnbergern das Hüterecht des "Reiches" streitig zu machen, vor allem, Bemühungen der  Habsburger,  sich der Krone und der Reichskleinodien zu bemächtigen, wurden sämtlich vom Ort der "ewigen Verwahrung" erfolgreich abgewehrt. Nur zu den Krönungen der deutschen Könige und Kaiser,  von Nürnberger Gesandten begleitet und geschützt, verließen die Reichsheiltümer die Mauern der Stadt. Die Nürnberger Gesandten hatten sogar das Recht,  während der Krönungen die Insignien darzureichen. Den Habsburgern blieb lediglich, ihre Kaisersarkophage in der Wiener Kapuzinergruft mit Abbildern der Reichskrone zu versehen.

 

Im Jahre 1523 geschah dann das, wofür der Papst schon ein Jahrhundert früher  Vorkehrungen hatte treffen wollen: Die Stadt Nürnberg fiel von dem einen Glauben ab. In das Heilig Geist Spital zog der Protestantismus ein. Das Verwahrungsrecht der Reichskleinodien hätte sich nach päpstlicher Vorstellung damit erledigen sollen. Es zeigte sich aber, daß trotz aller  Bemühungen das Reich sich nicht vollständig mit den Herrschaftsvorstellungen der römischen Kirche deckte. In Nürnberg verwies man darauf, daß das Heilig Geist Spital eine städtische Gründung sei, über welche der Papst nicht zu verfügen habe. Diesen Umstand  nämlich hatte der Papst vor 100 Jahren übersehen.  Unter Beibehaltung der Handelsmesse  wurden lediglich  die   Weisungen der Reichsheiltümer  eingestellt. Der Reichsschatz behielt seine Ruhe, und die Krone des Reiches blieb für die Deutschen das, was sie immer gewesen war: das heilbringende Zentrum des Reiches.

 

372 Jahre lang hatte die Reichskrone in Nürnberg, in des Reiches Mitte, ihren  Ort.

 

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