D I E K R O N E D E S R E I C H E S
D I E N O T Die heutigen Deutschen, nach der Krone ihres alten Reiches befragt, reagieren meist verwirrt: "Reichskrone? Hatten wir etwa mal ein Königreich? Ich weiß da nicht so recht Bescheid." Oder sie vermuten Anstößiges: "Krone des Reiches? Das hat doch wohl nicht etwa mit Adolf Hitler zu tun oder mit den Nürnberger Reichsparteitagen?" Wenige nur erweisen sich als Kenner und antworten etwa so: "Da denke ich an Karl den Großen, an die Habsburger, an Wien...." Wie es scheint, hat das Reich mit seiner Krone derzeit keinen Platz im Denken und Trachten des ehemaligen Reichsvolkes, der Deutschen. Die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation befindet sich zur Zeit in der Schatzkammer der Wiener Hofburg. In einem abgedunkelten Raum, zusammen mit den übrigen Reichskleinodien sowie mit den Hoheitszeichen des kaiserlichen Österreich liegt unsere 1000- jährige Krone unter Panzerglas, sichtbar gemacht von einer dem Betrachter unzugänglichen Lichtquelle. Wer sich die Zeit nimmt, die Krone genauer anzusehen, mag seltsam bewegt werden von der altertümlichen Verarbeitung ihres Goldes, ihrer Perlen, ihrer ungeschliffenen Steine. Er mag ergriffen werden von ihrer einzigartigen Gestalt, welche aus dunklen Fernen herzustammen scheint und gleichermaßen Vertrautes berührt. Der dichte Besucherstrom aber drängt sich ohne merkliche Unterbrechung an der Reichskrone vorbei. Nur Wenige lesen das kleine beigegebene Schildchen, auf welchem vermerkt ist: "10. Jahrhundert. Westdeutschland" und schauen für eine kleine Weile mit leeren Blicken. Gelegentlich treten historisch vorgebildete Museumspädagogen auf, gefolgt von den Schwärmen der ihnen Anvertrauten. Detaillierte Kenntnisse werden vorgetragen über die viel jüngere österreichische Kaiserkrone, welche sich der letzte Kaiser des Reiches im Jahre 1804 noch zusätzlich aufs Haupt setzte. Der an die Türkensiege erinnernde krönende grüne Stein wird eingehend beschrieben, ebenso die Wappen der Erblande. Sogar des Habsburgers wird gedacht, welcher sich diese Krone einst als österreichische Hauskrone anfertigen ließ. Anschließend werden dann die bereits schläfrig gewordenen Zuhörer in Richtung Reichskrone weitergeschoben. Hier sei noch eine Krone, heißt es. Sie sei nach dem II. Weltkriege aus Nürnberg wieder heimgekehrt. Es sei eine abendländische, eine christliche Krone, ein hohes Symbol unserer "westlichen Werte". Man könne diese Krone auch eine durch und durch europäische, eigentlich eine zeichenhaft moderne Krone nennen. Keiner fragt, ob denn Europa einmal ein Kaiserreich gewesen sei und ob die europäische und die österreichische Kaiserkrone etwas miteinander zu tun hätten. Widerstandslos lassen sich die also Belehrten weiter durch die Dämmerung der Wiener Schatzkammer treiben. Die aus dem Dunkel schimmernde Krone des Deutschen Reiches aber erscheint unberührt von allem, was sie umgibt. |